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Fall 4: Israelbezogener Antisemitismus (Variante 1)

Lehrer X verwendet im Fachunterricht wiederholt nicht nur israelkritische, sondern israelfeindliche Aussagen wie „Israel tötet unschuldige Frauen und Kinder.“ Schülerinnen und Schüler, die diese Aussagen kritisch sehen, teilen dies einer Lehrkraft ihres Vertrauens mit.

Vorbemerkung:

Das Beispiel thematisiert israelbezogenen Antisemitismus, der von einer Lehrkraft ausgeht. Auch in diesem Fall von Antisemitismus im schulischen Kontext ist es entscheidend, eine klare Haltung zu zeigen und entschlossen zu handeln – gerade vor dem Hintergrund der pädagogischen Verantwortung und Vorbildfunktion von Lehrkräften. Aufgrund der Tragweite des Vorfalls ist zudem die Schulleitung zu informieren.
Die Personen, die mit der Aufarbeitung des Vorfalls betraut sind, benötigen Handlungssicherheit. Israelbezogenen Antisemitismus zu erkennen und sich der Neutralitätsverpflichtung (Art. 96 BV) von Lehrkräften bewusst zu sein, stellt dafür eine wichtige Grundlage dar.   

Mittendrin

Erstreaktion in der Situation

Wahrnehmen und positiv verstärken: Die kontaktierte Lehrkraft erkennt den Mut und die Umsicht der Schülergruppe an, die Aussagen des Lehrers kritisch zu hinterfragen und sich mit einem Mitglied des Kollegiums in Verbindung zu setzen. In diesem Stadium soll jede Vorverurteilung vermieden werden, um eine objektive Überprüfung des Sachverhaltes zu ermöglichen.

Erstklärung: Mit den Schülerinnen und Schülern wird in einem ersten Gespräch die Unterrichtssituation rekonstruiert. Folgende Fragen könnten gestellt werden:

  • In welchem thematischen Zusammenhang fiel die Äußerung?
  • Gab es Reaktionen aus der Lerngruppe auf die Aussage? Wenn ja, welche?
  • Äußerte sich Lehrer X in anderen Zusammenhängen oder früheren Unterrichtsstunden auch bereits in dieser Art? Führten einseitig wertende Aussagen von Lehrer X in anderen Zusammenhängen zu Konflikten im Klassenzimmer?
  • Was bewog die Schülergruppe, diesen Vorfall zu melden? Welche Motivation auf Schülerseite steckt hinter der Meldung?
  • Fühlt sich einer der anwesenden Teilnehmer aus der Schülergruppe direkt oder indirekt betroffen durch die Aussage von Lehrer X?

Erkennen der Tragweite: Die Schülerinnen und Schüler müssen in ihrem Anliegen ernst genommen werden. Die Lehrkraft sichert ihnen zu, sich der Sache anzunehmen. Dies gilt auch dann, wenn die Aussage erst im weiteren Verlauf dem Bereich des israelbezogenen Antisemitismus zugeordnet werden kann.

Planung weiterer Schritte: Den Schülerinnen und Schülern wird signalisiert, nichts zu unternehmen, sondern abzuwarten, wie der Klärungsprozess voranschreitet. Zu gegebener Zeit werden sie wieder einbezogen – und bis dahin um Diskretion gebeten.

Sofort und unmittelbar danach

Klärung durch Einbeziehen weiterer Personen

Erste Absprache mit Kolleginnen und Kollegen: Zunächst ist es für die kontaktierte Lehrkraft ratsam, sich mit einer kleinen Gruppe von weiteren Lehrkräften ihres Vertrauens zu beratschlagen. Vorteilhaft ist es, wenn diese Lehrkräfte sowohl Lehrer X als auch die Schülergruppe näher kennen. Folgende Informationen gilt es in Erfahrung zu bringen:

  • Was ist über den Kollegen bekannt, der die Aussage getätigt hat? Hat er sich bereits in anderen Kontexten vergleichbar problematisch geäußert?
  • Gibt es andere Lehrkräfte im Kollegium, die mit dieser Einstellung sympathisieren? Sind andere Vorfälle dieser Art bekannt?
  • Was wissen die zu Rate gezogenen Lehrkräfte über die Schülergruppe, die den Vorfall gemeldet hat? Wie wird die Sozialdynamik generell in dieser Schülergruppe eingeschätzt?
  • Wie werden die Gründe/Motive der Schülerinnen und Schüler eingeschätzt, den Vorfall zu melden?
  • Wurden Schülerinnen oder Schüler von der Aussage des Lehrers beleidigt?
  • Wie reagiert die Klasse auf die Aussage des Lehrers?

Absprache mit fachkundigen Lehrkräften: Zur inhaltlichen Einstufung der Aussage und zur Bewertung der Tragweite des Vorfalls sollte die angesprochene Lehrkraft mit fachkundigen Lehrkräften – etwa aus der Fachschaft Geschichte oder Politik und Gesellschaft – Rücksprache halten. Zusätzlich können die jeweils zuständigen Regionalbeauftragten für Demokratie und Toleranz einbezogen werden. In einem weiteren Schritt sollte ein Klärungsgespräch mit Lehrer X vorbereitet werden, an dem neben der Lehrkraft, an die sich die Schülergruppe gewandt hat, auch ein weiteres Mitglied des Kollegiums – etwa eine Beratungslehrkraft oder die Fachschaftsleitung – teilnimmt.

Unmittelbar danach

Klärungsgespräch mit Lehrer X: Für das Gelingen des Erstgesprächs mit der Lehrkraft ist eine vertrauensvolle und offene Atmosphäre ohne Vorverurteilung eine wichtige Voraussetzung. Lehrer X wird über den Grund des Gesprächs informiert, auch wird die Wahrnehmung der Unterrichtssituation, so wie sie die Schülergruppe geschildert hat, dargestellt. Außerdem wird Transparenz hinsichtlich des bisherigen Vorgehens geschaffen. Lehrer X bekommt dann die Gelegenheit, die Situation aus seiner Sicht zu reflektieren und darzustellen.

Je nach Reaktion des Lehrers sind unterschiedliche Aspekte bei der Aufarbeitung des Vorfalls zu bedenken, weitere schulische Akteure einzubeziehen und Maßnahmen zu planen.

Planung der Maßnahmen unter Einbeziehung weiterer schulischer Akteure:

Sollte Lehrer X im Gespräch die Aussage abstreiten, bedarf es in Abstimmung mit der Schulleitung eines weiteren Klärungsschritts. In einem moderierten Gespräch zwischen Lehrer X und der Schülergruppe geht es darum, herauszufinden, was in der Situation genau vorgefallen ist.  Als Moderator bietet sich eine erfahrene Lehrkraft, etwa eine Beratungslehrkraft, der Schulpsychologe bzw. die Schulpsychologin, ein Mitglied der Schulleitung oder des Personalrats, an. Im Gespräch ist es wichtig, die Konfliktsituation aus neutraler Sicht durch die moderierende Lehrkraft zu umreißen und das Gesprächsziel (Lösen des Konflikts) zu formulieren. Der Schilderung der Situation aus Schülerperspektive sowie aus Perspektive von Lehrer X soll Raum gegeben werden.
Am Ende des Gesprächs sind zwei Alternativen möglich:
a) Wenn der Konflikt durch die Klärung der Situation gelöst wird, gilt es zu planen, welche weiteren Schritte in der Lerngruppe erfolgen sollen.
b) Ist die Situationsschilderung der Schülergruppe jedoch plausibel und Lehrer X erkennt in seinem Handeln kein Fehlverhalten, so erreicht der Konflikt die nächste Eskalationsstufe, bei der die Schulleitung einbezogen wird.

Danach!

Umsetzung der geplanten Maßnahmen

Je nach Verlauf des Gesprächs mit Lehrer X schließt sich entweder a) die Auflösung der konfliktreichen Unterrichtssituation in der Klasse oder b) ein Gespräch mit der Schulleitung unmittelbar an.

a) Klärung der Konfliktsituation in der Klasse:
Ziel dieser Klärung ist es, der ganzen Klasse zu verdeutlichen, dass jedwede Form von Antisemitismus, also auch israelbezogener Antisemitismus, an der Schule keinen Platz hat. Es empfiehlt sich, dass Lehrer X bei dieser Aussprache mit der Klasse von einer fachkundigen Lehrkraft unterstützt wird, die ggf. umsichtig moderieren kann. Über diese Lösung des Konflikts wird die Schulleitung informiert.

b) Gespräch mit der Schulleitung:
Im Gespräch mit der Schulleitung, zu der ggf. die Fachschaftsleitung sowie auf Wunsch von Lehrer X ein Mitglied des Personalrats hinzugezogen werden kann, zielt die Schulleitung darauf ab, die geltenden Werte und Normen sowie die Dienstpflichten zu verdeutlichen. Dabei sollten folgende Aspekte zum Tragen kommen:

  • Jede Lehrkraft ist dazu verpflichtet, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu vertreten und sich ihr gemäß zu verhalten. Sie hat „den in der Verfassung und im Bayerischen Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen niedergelegten Bildungs- und Erziehungsauftrag zu beachten. Sie muss die verfassungsrechtlichen Grundwerte glaubhaft vermitteln.“ (LDO § 2 Abs. 2) – Der Diensteid nach Art. 73 BayBG lautet: „Ich schwöre Treue dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und der Verfassung des Freistaats Bayern, Gehorsam den Gesetzen und gewissenhafte Erfüllung meiner Amtspflichten […].“ – Hier ist ein Verweis auf die Grundpflichten von Beamtinnen und Beamten in § 33 BeamtStG möglich.
  • Hingewiesen werden sollte auch auf die drei festgelegten Prinzipien des Beutelsbacher Konsenses in der Politischen Bildung (vgl. KMBek Gesamtkonzept für die Politische Bildung an bayerischen Schulen).
  • Das Handeln im Sinne der an der Schule geltenden Werte im Rahmen einer demokratischen Schulkultur – etwa Schule als Ort ohne Ausgrenzung, Diskriminierung und Beleidigung – sollte explizit eingefordert werden.

Fehlt seitens des Lehrers jede Einsicht bzw. treten wiederholt antisemitische Aussagen im schulischen Kontext auf, sieht das Beamtenrecht folgende weitere Schritte vor:

  • Aus zwingenden dienstlichen Gründen kann die Führung der Dienstgeschäfte verboten werden (§39 BeamtStG)
  • Einleitung eines Disziplinarverfahrens, in dessen Folge ein Verweis, eine Geldbuße, die Kürzung der Dienstbezüge, die Zurückstufung bis hin zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis verhängt werden können (Art. 6, 19 BayDG).
  • Wurde eine Straftat begangen, wird das Disziplinarverfahren neben einem ggf. durchzuführenden Strafverfahren eingeleitet. Der Ausgang des Strafverfahrens hat maßgebliche Bedeutung für das Disziplinarverfahren.

Unterstützungsmaßnahmen für das Kollegium:
Je nach Einschätzung des Vorfalls kann es angebracht sein, dem Kollegium durch schulinterne Fortbildungen zu einzelnen Themenbereichen (Antisemitismusprävention, ggf. Hintergrundwissen zum Nahostkonflikt, Geschichte und Politik Israels) mehr Handlungssicherheit zu ermöglichen, vgl. Material zur Vertiefung und Ansprechpartner.

Wichtig ist es auch zu verdeutlichen, dass die Aufarbeitung jeglicher antisemitischer Äußerungen eine Aufgabe aller Lehrkräfte ist und letztlich die Schulgemeinschaft als Ganzes betrifft.

Unbedingt

Transparente Kommunikation zur Herstellung von Öffentlichkeit

Je nach Einschätzung des Vorfalls werden die dafür relevanten Personengruppen der Schule von der Schulleitung informiert. Dabei ist es wichtig, auch die gebotene Fürsorgepflicht gegenüber der Lehrkraft zu berücksichtigen.

Reagiert die Lehrkraft einsichtig, so genügt die Auflösung der Konfliktsituation im Gespräch mit der Klasse: Dadurch wird in der Öffentlichkeit des Klassenzimmers die Aussage zurückgenommen und die an der Schule geltenden Werte und Normen werden im Sinne einer demokratischen Schulkultur wieder hergestellt. Des Weiteren gilt es abzuklären, inwieweit die Beziehungsebene zwischen dem Lehrer und der Klasse gestört wurde, inwiefern Betroffene durch die Aussage beleidigt oder verletzt wurden und mit welchen Maßnahmen der Lehrer wieder eine tragfähige Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern herstellen kann.
Zeigt sich die Lehrkraft uneinsichtig, so ist Öffentlichkeit im Sinne einer Einordnung der antisemitischen Aussage durch die Schulleitung vor der Klasse notwendig. Sie distanziert sich nicht nur klar und unmissverständlich von der antisemitischen Aussage, sondern betont darüber hinaus die Bedeutung der an der Schule geltenden Werte und Normen. Auf diese Weise wird auch der Schülergruppe, die den Vorfall gemeldet hat, zu verstehen gegeben, dass ihr Handeln richtig und couragiert war.
Für den Fall, dass von Seiten des Lehrers kein Einlenken erfolgt und weitere antisemitische Äußerungen bereits bekannt bzw. zu befürchten sind, informiert die Schulleitung auch das Kollegium, den Elternbeirat und die Schülervertretung sowie auch alle Eltern, Schülerinnen und Schüler darüber, dass bereits Maßnahmen eingeleitet worden sind. Ziel ist es, Gerüchte zu verhindern und einer Dramatisierung der Vorfälle vorzubeugen. Es wird signalisiert, dass die Schule bzw. die Schulleitung das Heft des Handelns in der Hand behält.
Die Information an die Schulgemeinschaft sollte folgende Aspekte berücksichtigen:

  • Was ist passiert? (ohne Nennung von Namen!)
  • Welche Haltung nimmt die Schule ein?
  • Wie geht die Schule mit dem Vorfall um?
  • Welche Maßnahmen der Intervention sind geplant bzw. bereits erfolgt?
  • ggf. Appell an erziehungspartnerschaftliche Kooperation mit dem Elternhaus und Bitte um Unterstützung

Sollte sich zeigen, dass antisemitisches Gedankengut von mehreren Lehrenden und Lernenden geteilt wird, ist eine vertiefte Fallbearbeitung sowie die Einbeziehung externer Partner unbedingt erforderlich.

 

Dranbleiben!

Weiterführung und Evaluation der Maßnahmen und Planen für die Zukunft

Die in der Maßnahmenplanung erarbeiteten Ziele werden überprüft, indem Gespräche mit Lehrer X sowie den Schülerinnen und Schülern der Klasse geführt werden. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Personen, die unter Umständen direkt von den antisemitischen Äußerungen betroffen gewesen sind.
Von Lehrkräften geäußerte antisemitische Aussagen benötigen in der Aufarbeitung ein hohes Maß an Courage und Ehrlichkeit von allen Beteiligten. Gelingt dieser Prozess mit einem für alle zufriedenstellenden Ergebnis, so wirkt sich das in jedem Fall wertvoll auf das schulische Miteinander aus.
Eine gelungene Konfliktlösung kann folgende Maßnahmen beinhalten:

Ziel dabei ist immer, dass unterschiedliche schulische Akteure in einem demokratischen und wertschätzenden Miteinander kooperieren.
Wurde ein Vorfall dieser Art erfolgreich aufgearbeitet, kann er auch in die zukünftige Schulentwicklung im Sinne der Förderung einer demokratischen Schulkultur einfließen.