Was ist unter Antisemitismus zu verstehen?
Die Bayerische Staatsregierung hat, wie nach ihr viele andere Institutionen, eine von der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) entwickelte „Arbeitsdefinition Antisemitismus“ angenommen, um so auf einer anerkannten Grundlage dem Antisemitismus besser entgegentreten zu können. Die Definition lautet:
„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische und nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen und religiöse Einrichtungen.“
Präzisierung der „Arbeitsdefinition Antisemitismus“ der IHRA
Anhand der folgenden Beispiele wird deutlich, welche Phänomene dem Antisemitismus und dem Judenhass zuzuordnen sind:
- Falsche, bewusst stereotype, dämonisierende oder entmenschlichende Anschuldigungen gegen Juden;
- Unterstellungen über eine vermeintliche Macht von Juden als Kollektiv – insbesondere die Mythenbildung über eine sogenannte „jüdische Weltverschwörung“, über eine angebliche Kontrolle der Medien, der Wirtschaft, der Regierungen oder anderer gesellschaftlicher Institutionen bzw. Akteure durch Juden;
- Die Verwendung von Mythen, Chiffren, Symbolen und Bildern, die mit tradiertem Judenhass in Verbindung stehen (z. B. der Vorwurf des Christusmordes oder die Ritualmordlegende), um Juden und/oder Israel zu diskreditieren;
- Das Bestreiten bzw. Relativieren der Tatsache, des Ausmaßes, der Mechanismen (z. B. der Gaskammern) oder der Vorsätzlichkeit des Völkermordes an den Juden durch das nationalsozialistische Deutschland, seiner Unterstützer und Komplizen während des Zweiten Weltkrieges (Holocaustleugnung);
- Der Aufruf zur Ausgrenzung, Diffamierung, Verfolgung oder Tötung von Juden im Namen einer radikalen Ideologie oder einer extremistischen Religionsanschauung sowie die Beihilfe zu solchen Taten oder ihre Rechtfertigung;
- Der Vorwurf gegenüber den Juden als Kollektiv und/oder gegenüber dem Staat Israel, die Shoa erfunden zu haben oder übertrieben darzustellen;
- Das Anzweifeln der staatsbürgerlichen Loyalität von Juden in Verbindung mit der Bezichtigung einer stärkeren Verpflichtung gegenüber angeblichen weltweiten jüdischen Interessen und/oder dem Staat Israel;
- Das Verantwortlichmachen aller Juden für die Handlungen des Staates Israel;
- Der Vorwurf an den Staat Israel, er sei rassistisch;
- Die Anwendung doppelter Standards, indem man von Israel ein Verhalten anmahnt, das von keinem anderen demokratischen Staat erwartet oder gefordert wird;
- Die unzulässige Gleichsetzung des demokratischen Staates Israel mit dem NS-Regime sowie mit Staaten, für die Apartheid und rassistische Ausgrenzung konstitutiv sind.
Im Zentrum aller politischer Entscheidungen des Staates Israel steht die Notwendigkeit, diesen einzigen demokratischen Rechtsstaat im Nahen Osten in seiner Existenz abzusichern, auch als mögliches Refugium für die seit Jahrhunderten von Verfolgung bedrohte Judenheit insgesamt. Diese Tatsache ist bei jeder Kritik an einzelnen politischen Entscheidungen oder Entscheidungsträgern des Staates Israel zu berücksichtigen.
Antisemitische Taten sind Straftaten, wenn sie als solche vom Gesetz bestimmt sind (z. B. in einigen Ländern die Leugnung des Holocausts oder die Verbreitung antisemitischer Materialien).
Straftaten sind antisemitisch, wenn die Angriffsziele, seien es Personen oder Sachen – wie Gebäude, Schulen, Gebetsräume und Friedhöfe – deshalb ausgewählt werden, weil sie jüdisch sind, als solche wahrgenommen oder mit Juden in Verbindung gebracht werden.
Antisemitische Diskriminierung besteht darin, dass Juden Möglichkeiten oder Leistungen vorenthalten werden, die anderen Menschen zur Verfügung stehen. Eine solche Diskriminierung ist in vielen Ländern verboten.
Wo gibt es weitere Informationen zu den verschiedenen Erscheinungsformen von Antisemitismus?
- Eine Definition zu Antisemitismus und seinen verschiedenen Erscheinungsformen sowie einschlägige Empfehlungen für den Umgang mit Antisemitismus in der Schule bietet die Gemeinsame Empfehlung des Zentralrats der Juden in Deutschland, der Bund-Länder-Kommission der Antisemitismusbeauftragten und der Kultusministerkonferenz zum Umgang mit Antisemitismus in der Schule.
- Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) gibt in ihrem Dossier „Antisemitismus“ zahlreiche Informationen zur Geschichte und Gegenwart des Antisemitismus; auch die Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (BLZ) behandelt dieses Themenfeld in ihrer Reihe „Einsichten und Perspektiven“ sowie in ihrem „Themenform Antisemitismus”.
- Auf ihrer Webseite „Gemeinsam gegen Extremismus“ beleuchtet die Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) das Phänomen „Antisemitismus“ als konstitutiven Bestandteil von Rechts- und Linksextremismus. In dem jeweiligen Kapitel „Ideologie und Strategie“ wird näher auf die unterschiedlichen Erscheinungsformen eingegangen.
- Zudem ist u. a. auf die grundlegenden Publikationen von David Nirenberg (Antijudaismus. Eine andere Geschichte des westlichen Denkens. München 2015) und Peter Longerich (Antisemitismus. Eine deutsche Geschichte. Von der Aufklärung bis heute. München 2021 – auch als Publikation über bpb verfügbar) zu verweisen (vgl. Material zur Vertiefung).